Sonntag, 17. Juli 2016

Indie-Autoren-Challenge Gabriele E. Fleischmann



Im März 2015 hatten einige Autoren die Idee sich einer besonderen Herausforderung zu stellen. Ihnen sollten 15 Begriffe genannt werden und sie wollten eine Geschichte daraus machen, die mindestens drei Seiten lang sein sollte. Nach und nach möchte ich die Autoren und deren Geschichten vorstellen:



Gabriele E. Fleischmann lebt mit ihren Kindern und ihrem Ehemann in Köln. Die Leidenschaft Geschichten zu schreiben packte sie bereits in der Grundschule. Dort schrieb sie mit Abstand die längsten Aufsätze, später wagte sie sich auch an eine Jugendgeschichte. Die Leidenschaft fürs Schreiben wurde jäh von der Pubertät (und all dem was das Leben zu diesem Zeitpunkt bereit hält) kurzzeitig verdrängt. Was folgte war ein sogenannter 08/15 Lebenslauf mit Schulausbildungen und einer Ausbildung als Versicherungskauffrau.



Meine Anmerkung: Und nun folgt ein nicht ganz gewöhnlicher Lebenslauf, der hier den Rahmen sprengen würde. Aber wirklich durchaus interessant ist und deshalb stelle ich hier den Link zu ihrer Seite bei Amazon ein. Neben ihrer Lebensgeschichte befindet sich dort auch eine Übersicht ihrer Bücher, die dort erworben werden können: klick hier


Und hier kommen nun die 15 Begriffe, die Gabriele E. Fleischmann von Birgit Loistl genannt wurden:

Kuss
Rockmusik
Fensterbrett
Winter
Welpe
Buch
Zahnarzt
Bruder
Schaukel
High Heels
Bett
Kaffee
Blue Jeans
Fahrrad
Radio


Diese Geschichte hat sie dazu geschrieben:


 »Weißt du was ich mich immer frage, wenn ich hier bei dir bin? Wie es wohl denn so bei dir, so unter der Erde ist? Aber vielleicht hast du es ja doch nach oben geschafft. Wie ist es denn da oben? Siehst du uns zu? Siehst du unsere Tränen? Wenn ja, dann hoffe ich doch, dass du dich richtig mies fühlst.«

Mit einem Tuch wische ich den Grabstein ab und fahre mit den Fingern jeden Buchstaben nach, der in den kalten Stein gemeißelt wurde: Floris van der House 18.07.1986 - 16.01.2015 Du liebtest den Sommer, doch seit du weg bist, ist für uns nur noch Winter! ~~~~~~~~~~~~

Dieser Spruch trifft es wie die Faust aufs Auge. Warum nur? Warum musste sich der Vollidiot nur das Leben nehmen und damit so viel Chaos stiften, wie er es noch nicht mal zu Lebzeiten geschafft hat. Und da war er schon Chaotenweltmeister. »Brüderchen, ich hoffe für dich, dass du nicht wolltest, dass wir so leiden. Denn wenn du das in kauf genommen hast, dann werde ich dich dermaßen in den Hintern treten, wenn wir uns mal auf Wolke 7 begegnen.«

Vorsichtig schaue ich mich um, ob mich auch niemand beobachtet und als die Luft rein ist, küsse ich den Grabstein. Mir ist klar, dass dies ziemlich Irre ist, aber irgendwie habe ich das Gefühl, als würde ich ihm einen Kuss geben. Ich hocke mich neben das gepflegte Grab, lehne meinen Kopf an den Stein und rede noch ein wenig mit ihm. Was heißt hier mit? Also ich rede und der Stein hört mir zu oder auch nicht. Es ist friedlich hier, so ganz am Ende des Friedhofes, so dass ich allmählich wieder etwas runterkomme.

Irgendwann habe ich mir alles von der Seele gequatscht und sitze still auf dem feuchten Boden, genieße die Ruhe, sehe den kleinen Wolken am sonst stahlblauen Himmel zu, wie sie sich verändern und davon schweben. So wollte Floris auch davon schweben, weil er dachte, dass es das Beste für alle sei.

Wie kann man so etwas denken? Wie kann man glauben, dass es gut ist, geliebten Menschen so viel Schmerz zu bereiten, dass die daran zerbrechen? Erneut verspüre ich neben der Trauer, die enorme Wut auf meinen Bruder, dass er uns so etwas angetan hat.

»Scheißkerl«, fluche ich laut. Da dringt so etwas wie ein Wimmern an mein Ohr, fast könnte man glauben da jault jemand. Wie peinlich, ich fluche hier herum, während hinter dem Busch jemand sitzt und weint. Besser ich verdrücke mich, bevor derjenige mich noch entdeckt und mich für ein wenig geisteskrank hält. »Tschüss, du Mistkerl«, flüstere ich noch schnell dem Grabstein zu und bin auch schon halb auf dem Heimweg, da ändert sich das Wimmern, in Bellen ...Bellen? Wieso bellt hier jemand, was heißt jemand, das muss ein Hund sein. Hunde sind aber auf dem Friedhof strengstens verboten (warum auch immer). Was soll es, wenn irgendjemand sein Hündchen mitgebracht hat, damit auch der sich verabschieden kann, ist mir das so was von egal.

Vom Weg aus spinkse ich mal kurz zu den Gräbern, von wo das Bellen kam und entdecke eine wunderschönen Deutsche Dogge. Sie hat den Kopf auf einem Grabstein liegen und jault. Wo steckt denn das dazugehörige Herrchen, wundere ich mich, denn weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Als die Dogge mich bemerkt, hebt sie kurz den Kopf, fixiert mich, um dann wieder den großen Schädel auf den Grabstein zu legen. Scheiße, was soll ich tun? Der Hund ist definitiv alleine hier. Ich kann ihn mir aber kaum schnappen, da es sich nicht um einen kleinen Welpen handelt, sondern um 50 KG Lebendgewicht. Nervös wische ich meine schweißnassen Hände an meiner Blue Jeans ab. Mein Bruder, der wüsste jetzt, was zu tun ist, der hatte immer ein Händchen für Hunde, aber er hat es ja vorgezogen, sich vor den Zug zu schmeißen.

»Hey«, schleiche ich mich langsam an den Hund heran. Jetzt hatte ich nicht erwartet, dass er antwortet, aber eine Reaktion wäre schon ganz gut. Aber nichts ... er sieht mich nur an. Behutsam Schritt für Schritt nähere ich mich ihm, wobei meine High Heels sich im Moosboden versenken, was für den Hund anscheinend interessant wird, denn er hebt den Kopf, und wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich glauben, dass er mich auslacht.

»Sehr witzig«, schimpfe ich laut und bin mir nicht sicher ob ich mit mir oder dem Hund. Kurzerhand ziehe ich die Schuhe aus und laufe barfuß, es ist August, da kann man ruhig ohne Schuhe laufen.

 »Was mache ich mit dir?«, frage ich die Dogge, die mir – oh Wunder – immer noch nicht antwortet. Sie schmiegt wieder den Kopf auf den Stein, der einer jungen Frau Namens Greta Steiner gehören muss, so steht es auf jedenfalls darauf. »War Greta dein Frauchen?«

Ich halte dem Hund meine Hand hin und lasse ihn etwas daran schnuppern, als er sie mir nicht abbeißt, traue ich mich noch etwas näher. Diese Greta war auch nicht älter als Floris, stelle ich beim genaueren Hinsehen fest. Was ihr wohl zugestoßen ist? Seit dem Tod meines Bruders habe ich mir so eine Art Grabsteinraten angewöhnt. Anhand der spärlichen Information reime ich mir zusammen, wie der Tote ums Leben gekommen ist. Ein Achtzigjähriger ist sicher in seinem Bett gestorben, eine Hundertjährige friedlich auf der Terrasse eingeschlafen, womöglich hatte sie noch den Kaffee vor sich stehen, ein Buch auf den Knien liegen und wollte nur kurz die Augen schließen, um sie dann nie wieder zu öffnen. Der Zwanzigjährige hat sich bestimmt mit ein paar anderen ein Autorennen gegönnt. Das Radio auf volle Lautstärke gedreht, so dass die Rockmusik richtig in den Ohren dröhnte, und dann mit 180 Sachen in den Graben.

»Was ist denn mit deiner Greta passiert?«, spreche ich erneut mit dem Hund, als könnte er mit mir reden. »Sie hat sich aufs Fensterbrett im 18. Stock gestellt und ist gesprungen«, erklärt mir eine tolle Männerstimme hinter mir. Wie peinlich ist das denn? Ich traue mich nicht mich umzudrehen, weil ich garantiert wie ein Feuermelder aussehe, so ist mir die Hitze ins Gesicht geschossen. Wer weiß, wie lange der Mensch mir schon zu gehört hat? Sicherlich glaubt er jetzt, dass ich nicht mehr alle Latten am Zaun habe, weil ich den Hund ausfrage.

»Krebs im Endstadium, da wollte sie mir nicht zur Last fallen«, erzählt die sonore Stimme aber weiter, als wäre es normal, dass ich ihm den Rücken zudrehe. Ich habe zwei Möglichkeiten, entweder falle ich tot um, dann brauche ich mich nicht weiter zu schämen (würde aber meinen Eltern das Herz brechen) oder ich drehe mich um und mache, als wäre nichts geschehen. Ich entscheide mich für Variante zwei.

Als ich mich zögerlich umdrehe, sehen mir zwei stahlblaue, wunderschöne, aber sehr traurige Augen fest ins Gesicht. Der Rest, der zu diesen tollen Augen gehört, ist auch nicht von schlechten Eltern. 1a Körper, blonde strubbelige Haare, nur kein Lächeln im Gesicht.

»Das kleine Schoßhündchen ist übrigens Brutus. Er war Gretas große Liebe«, erzählt der Mann weiter, als hätte ich ihn danach gefragt. »Ewig haben die Ärzte nichts gefunden, es auf die Psyche geschoben, als sie immer dünner wurde, haben sie ihr eine Essstörung untergeschoben.«

Bitter lacht er auf, »Dabei, war es da schon zu spät. Ich habe ihr Brutus gekauft, weil die Ärzte glaubten, wenn sie eine Aufgabe hätte, dann würde es bald bergauf gehen.« Liebevoll tätschelt der Mann, den wuchtigen Kopf des Schoßhündchens.

»Bergauf ...Bergauf, dass ich nicht lache, es ging rasanter bergab, als ein Skispringer die Abfahrtsrampe bewältigt.«

Irgendwie habe ich das Gefühl, das er mehr mit sich selbst spricht, als mit mir. Das scheint auch ihm aufzugehen. Verlegen murmelt er was davon, dass er gehen müsse, da er noch einen Termin bei seinem Zahnarzt hätte.

»Übrigens ich heiße Lotti«, rufe ich ihm noch hinter. »Anton«, lässt er mich wissen, dann ist er schon in einen Weg eingebogen.

****

»Mama, Fleur auch Sand graben«, gluckst meine Tochter und hibbelt wild in ihrem Kinderwagen rauf und runter. »Wenn der Papa endlich mal fertig wird, dann gehen wir zur Schaukel.« Ich streiche Fleur übers Köpfchen und sehe meinem Mann weiter amüsiert zu, wie er Blut und Wasser schwitzt, weil er die kleine Dose mit Brutus Asche in Gretas Grabstätte einbuddelt und sich fast vor Angst in die Hose macht, weil er befürchtet entdeckt zu werden.

»Schaust du auch, ob keiner kommt Lotti?« Wenn er mich das noch einmal fragt, verbuddele ich ihn gleich daneben. »Achtung Anton«, kreische ich auf, worauf mein Mann vor Schreck die Schaufel fallen lässt, was mir leider eine kleine Kicherattacke beschert. Natürlich kommt niemand, was er auch ziemlich schnell begreift.

»Na warte ab.« Anton wischt sich den Sand von den Knien und kommt langsam auf mich zu. »Wir beerdigen hier gerade den armen Brutus und du verarscht mich.«

Er möchte ernst klingen, aber seine leuchtenden Augen strafen ihn Lügen. Fest nimmt er mich in den Arm und küsst mich zart. »Hättest du vor sechs Jahren daran geglaubt, dass wir mal hier stehen werden und glücklich sind?«, murmelt er schließlich.
»Nein, das hätte ich nicht.« Ich verknote meine Finger mit seinen und lehne meinen Kopf an seine Schulter. »Aber spätestens, nachdem wir uns, durch Brutus ein Jahr lang jeden Tag gesehen haben, da wusste ich, dass Floris Tod der Weg zu meinem Glück war. So wie er es immer vorausgesagt hat.«

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